Ausarbeitung (12.04. - 16.04.2000):

Erörterung zu Horst Albert Glaser: "Die Gretchentragödie als bürgerliches Trauerspiel",

Textausschnitt aus: Glaser, Horst Alber: "Die Gretchentragödie als bürgerliches Trauerspiell. In: Johann Wolfgang von Goethe: "Faust. Der Tragödie erster Teil, Text und Materialien". Schwann-Bagel, 1986


 

Auszug aus dem Textausschnitt:


 

"Es ist so selbstverständlich, dass das Drama "Faust" heißt und nicht "Gretchen". Erst Schiller versuchte, eines seiner Trauerspiele nicht nach dem Helden, sondern nach seinem Opfer zu nennen. "Luise Millerin" sollte "Kabale und Liebe" ursprünglich heißen, hieß es dann aber doch nicht. Hebbel war es, der das seinige dann endgültig "Maria Magdalena" taufte. Ihrem Beischläfer widerfährt hier keine höhere Ehre denn die des kleinen Spitzbuben, der im Personenverzeichnis irgendwo in der Mitte rangiert. Um Faust dagegen moralisch und dramaturgisch zu retten, werden Himmel und Hölle mehrfach aufgerissen, beschworen und wieder zugeklappt. [...]


 

[...] Man mag die Meisterschaft bewundern, mit welcher der junge Autor bereits im "Urfaust" vermittels sparsamster Striche das Poträt einer Handlung zeichnete, die zu den berühmtesten der Weltliteratur zählt. Die Szenen gleichen Kristallisationen in einem Handlungsgewebe, das als Ganzes nicht ausgebreitet zu werden braucht und doch mitgedacht wird. Andererseits sind es nicht nur die eigentlich theatralischen Momente der Handlung, die keinen Eingang finden: der Tod der Mutter, die Ermordung des Kindes, die Flucht, die Gefangennahme, das Verhör, die Verurteilung und die Hinrichtung gar.


 

Indem das Schicksal Gretchens auf das reduziert wird, was Faust von ihr und ihm zur Kenntnis nimmt, verlischt es unter dem mächtigen Schatten, den die Gestalt Faustens über das Leben Gretchen warf. "Heinrich! Heinrich!" - in diesen Worten verhallt das Stück. Was fernhin mit ihr geschieht, bleibt offen, interessiert das Stück nicht länger, weil der Held auf und davon ist."


 


 

Arbeitshinweis:

Analysieren Sie von Ihnen ausgewählte Passagen des vorliegenden Textes und setzen Sie sich vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Rezeptionserfahrungen mit für Sie interessanten und/oder kritischen Positionen auseinander.


 

Abschrift der eigenen Lösung:


 

Der vorliegende nichtfiktionale Text "Die Gretchentragödie als bürgerliches Trauerspiel" wurde von dem Literaturwissenschaftler Horst Albert Glaser verfasst. Wie die Überschrift es bereits andeutet, setzt sich Glaser mit der Gretchentragödie in Goethes weltbekannten "Faust"-Drama auseinander. Die Intention des Autors liegt darin, dass er die Trennung der Gretchentragödie vom Gesamtwerk untersucht. Gleichzeitig stellt er die Überlegung an, ob der Titel "Faust" für das Drama bzw. für die Tragödie gerechtfertigt sei.


 

Inhaltlich reflektiert Glaser in groben Zügen das Geschehen im "Faust"-Drama. Als Einleitung zu seiner Untersuchung knüpft er Verbindungen zu weiteren literarischen Werken, wie z. B. "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller. Den gesamten Text hindurch verwendet der Autor Begriffe wie "Tragödie" und "Trauerspiel", die einen Zusammenhang zum Titel darstellen.


 

Doch was ist eine "Tragödie"? Die Tragödie ordnet man in die Kategorien der "Dramen" ein. In der Normalform setzt sich das Drama aus fünf Akten zusammen. Nach einer Einführung (Exposition) wird über ein erregendes Moment ein Konflikt der Hauptpersonen aufgebaut. Im Bereich der Trag�die spitzt sich dieser Konflikt in verst�rkter Form zu und endet in einer Katastrophe. Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung stehen in einem engen Zusammenhang. Im �b�rgerlichen Trauerspiel� tritt zus�tzlich noch die Charakteristik der Thematik auf. Es sind meistens Werke, die sich mit der Problematik der verschiedenen St�nde auseinandersetzen.


 

Aus dem Text von Horst Albert Glaser ergeben sich unwillk�rlich Fragen, die es nun zu er�rtern gilt. Aus welcher Betrachtungsweise �beleuchtet� der Verfasser das untersuchte Werk? Mit welchen Argumenten versucht Glaser zu �berzeugen? Es erhebt sich im Anschlu� die Frage, ob man mit der Ansicht des Autors �bereinstimmen kann.


 

Gleich zu Beginn des Textes erh�lt der Leser die subjektive Betrachtungsweise Glasers vermittelt. �Es ist so selbstverst�ndlich, da� das Drama �Faust� hei�t und nicht �Gretchen�.� (Z. 1 � 3) Im ersten Augenblick kann man Ironie hinter diesem Satz vermuten, da Glaser den sich anschlie�enden Satz fast wie eine Entschuldigung formuliert. Er versucht einen Vergleich mit Friedrich Schillers �Kabale und Liebe� zu ziehen. Laut Glaser sei Schiller daran gescheitert, sein Drama nach dem Opfer zu benennen. Als Grund daf�r wird die mangelnde Akzeptanz durch das Publikum genannt.

Parallelen zwischen beiden Werken lassen sich nicht leugnen. Sowohl �Kabale und Liebe� als auch �Faust� enthalten Elemente der �Sturm und Drang�-Epoche, die die Literatur in der Zeit von 1767 bis 1785 pr�gte. Gerade diese Periode lie� die Konfliktsituation zwischen Hofadel und B�rgertum in den Dramen widerspiegeln. Als Beleg dazu ist die Beziehung zwischen der Musikustochter Luise Miller und dem Adligen Ferdinand zu erw�hnen. Die gleiche Verbindung l��t sich aus dem b�rgerlichen Gretchen und dem Gelehrten Dr. Faust ableiten. Dennoch mu� man den Vergleich dahingehend einschr�nken, dass sich die Handlung um Luise und Ferdinand durch das gesamte Werk vollzieht. Als Gegensatz dazu ist die Beziehung von Dr. Faust und Gretchen nicht der entscheidende Schwerpunkt des Dramas.


 

Dass Elemente des �Sturm und Drang� im Drama �Faust� enthalten sind, begr�ndet sich in der Entstehungsgeschichte des Werkes. �Faust� ist Goethes Lebenswerk. Bis zur Fertigstellung des Gesamtwerkes sind mehrere Jahrzehnte vergangen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass verschiedene Literaturepochen mit eingeflossen sind. Einen Nachweis dar�ber, dass Goethe in mehreren Etappen am �Faust� gearbeitet hat, l�sst sich am sp�ter eingef�gten Vorwort �Zueignung� (�Faust�, I. Teil, Verse 1 bis 32) erkennen.


 

Wenn man nun vom Gesamtwerk �Faust� spricht, und die Gretchentrag�die ist nur ein Teil dessen, so bedarf es der Erkl�rung. Das Drama �Faust� ist ein Werk in zwei Teilen. Der erste Teil wird in Szenen struktuiert. In ihm verl�uft auch die gesamte Gretchentrag�die. Der zweite Teil des Dramas ist dagegen in 5 Akte gegliedert. Das Gesamtwerk bildet die Rahmenhandlungen, welche zwei Binnenhandlungen (Gretchentrag�die und Gelehrtentrag�die) einschlie�t.


 

Gegenstand der Rahmenhandlung ist die Wette zwischen dem Herrn und Mephisto (Vers 314 ff.). Mephisto soll den Gelehrten Dr. Faust �zerstreuen� und ihm neue Impulse f�r seine Arbeit geben. Er nimmt sich vor, Faust zuerst die �gro�e Welt� und danach die �kleine Welt� zu zeigen. Dazu bedarf es aber einer zweiten Wette, die er diesmal mit Faust schlie�en muss. Eine Verbindung zwischen diesen �zwei Welten� greift auch Glaser auf. Dabei verwendet er die Symbolik (�H�llenfahrt�, �Himmelfahrt�).


 

Gretchen und Faust begegnen sich in der kleinen Welt. Gretchen sagt �ber sich selbst, �sie sei ein armes junges Blut� (Vers 2907) und dass ihr �arm Gespr�ch nicht unterhalten kann� (Vers 3708). Mit diesen Worten weist sie schon auf die sozialen Standesunterschiede zwischen Faust und ihr hin. Daraus l�sst sich schon ein weiterer Beleg f�r die Charakteristik der Epoche des Sturm und Drang herleiten. Ein Konflikt, der uns in die Richtung der Trag�die weist.


 

Dennoch muss man bedenken, dass Faust sich zu diesem Zeitpunkt schon in den F�ngen Mephistos befand. In der Hexenk�che vollzog sich Fausts Verj�ngungsprozess. Durch diese Szene ist ein Beweis gegeben, dass das Drama nicht ausschlie�lich die Gretchentrag�die behandelt. Man darf unterstellen, dass es ohne diese Verj�ngung nicht zu einer Begegnung von Faust und Gretchen gekommen w�re.


 

Im Monolog �Nacht� hadert Faust mit seinem Schicksal. Er res�miert �ber seine erlangten Erfolge und akademischen Abschl�sse, beklagt sich aber auch �ber die nat�rlichen Grenzen, die seinen Forschungen im Wege stehen. Dieser Monolog leitet die zweite Binnenhandlung des �Faust�-Dramas ein, die Gelehrtentrag�die.


 

Durch die Wette mit Mephisto (Vers 1692 ff.) sollte Faust nun auch die Gen�sse des Lebens kennenlernen. Dazu geh�ren nat�rlich auch die Frauen. Eventuelle Nebenhandlungen, wie die Begegnung mit Gretchen verlief, die letztlich das tragische Schicksal Gretchens zur Folge hat, werden im Drama nicht genannt. Der Zuschauer/der Leser erf�hrt es nur im Nachgang.


 

Dadurch, dass Faust nicht aus sich heraus Gretchen ins Ungl�ck st�rzte, muss man an dieser Stelle das b�rgerliche Trauerspiel zum Teil widerlegen. Die Beeinflussung durch Mephisto hat entscheidend dazu beigetragen.


 

Die Doppelmoral der Gesellschaft kann nur bedingt einbezogen werden. Beiden ist es bewu�t, dass sie durch ihr Verh�ltnis mit konventionellen Schranken brechen. Sowohl Faust als auch Gretchen. Dennoch muss Gretchen im sp�teren Verlauf allein die Schuld tragen.


 

Durch den Einfluss Mephistos wurde die Binnenhandlung der �Gretchentrag�die� deutlich gepr�gt. Man kann n�mlich davon ausgehen, dass die Handlung einen anderen Verlauf genommen h�tte, w�re Faust bei Gretchen geblieben. Doch in diesem Moment h�tte Mephisto die Wette gegen�ber Faust gewonnen. Ob dramatisch bzw. moralisch oder nicht. Die Hauptfigur des Dramas ist nun einmal Faust.


 

 

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